Leise wisperte der kühle, herbstliche Wind mir Mut zu. Ich fühlte, wie die letzten Sonnenstrahlen des Tages meinen Pelz entlangstreiften, um bald den Horizont zu verlassen und mich mit meiner Entscheidung vor den schmiedeeisern glänzenden Toren des alten Herrenhauses vor dem ich stand alleine zu lassen. Ein leichter Schauer liess mich erzittern, wenn ich nur daran dachte an der alten Messinglocke zu läuten, die eine Umkehr erneut unumkehrbar machen würde. Doch ich spürte, dass etwas nicht stimmte. Das Leben welches meinen Leib nun beinahe schon zur Gänze ausfüllte war bedroht, und mir blieb keine andere Möglichkeit, als erneut seine Hilfe aufzusuchen. Mir graute bereits vor dem Preis den der graue Rabe diesmal verlangen würde. Ich wusste tief in meinem Herzen, dass es ein Fehler gewesen war, ihn um Hilfe bei der Empfängnis meines Kindes zu bitten, und doch, wollte ich nicht, dass meine Art mit mir ausstarb, blieb mir damals keine Wahl. Seine berüchtigte Magie war das einzige Mittel dazu. Alle meine Schwestern und Brüder waren im Kampf gegen die Minotauren der Weite gefallen, als diese auf ihrer Durchreise gen Osten unseren Wald durchquerten, und alles Leben der Faune mit sich nahmen, um dafür zu sorgen, dass sie die einzigen Tierwesen waren, die des Lebens würdig waren. Alle Faune hatten hart gekämpft und versucht sie abzuwehren-doch waren wir kein kriegerisches Volk und so blieb nichts übrig von unserem Volk- nichts ausser mir- einer zurückgekehrten Verbannten. Als ich von der Schlacht erfuhr und trotz meiner Verbannung heimkehren wollte um zu helfen, war ich bereits zu spät und fand nur blutgetränkte Lichtungen übersäht mit Kopf und Fusslosen Körpern vor-denn die fürchterliche Wahrheit war, die Köpfe waren allesammt an den Waldgrenzen aufgespiesst worde-sogar die der Kinder. Die Hufe wohl als Trophäen mitgenommen, auf jeden Fall konnte ich es mir nicht anders erklären. So hatte ich mich an den grauen Raben gewandt um den Fortbestand meiner Rasse zu gewährleisten und den grauenhaften Preis dafür in Kauf genommen, mein Kind wann immer er wolle mit ihm zu teilen, sodass alle seine Macht an ihm bestaunen können würden.
Doch es bewegte sich nicht mehr in mir, und obwohl ich es aus Schuldgefühlen in mir aufgenommen hatte um doch noch einen Nutzen zu haben in meinem Leben, hatte ich es zu lieben gelernt. Meine Angst um das Kind war grösser als die Furcht vor dem Raben.
So hat mein Weg mich also hergeführt.
Zusammengekauert suche ich nach dem Schlaf der mir schon beinahe gänzlich verwehrt geblieben ist, seit ich vor Monaten vor den grauen Raben getreten war. Das Glas der Kuppel drückt kalt und unnachgiebig gegen meine, davon schon abgewetzten Hörner. Die Blicke der Tiere durchbohren mich mit Mitleid, Abscheu, Furcht und unverholener Neugier. Ich habe es aufgegeben meine kleine Tochter vor ihren starrenden Augen beschützen zu wollen. Als ich das Versprechen an den Raben gab, dachte ich nicht, dass er mein Neugeborenes Faunenkind in eine gläserne Kuppel mitten im Herz des Waldes allen zur Schau stellen würde. Sie war völlig Rund und auf einer Seite prangte ein grosses goldenes Schloss mitten drin eingefasst, welches sogleich als Türe fungierte. Keiner konnte das güldne Schloss öffnen, ausser dem grauen Raben selber, der seine eigenen klammen Finger geweils zu einem eisernen Schlüssel formte mittels seiner Magie, um zu ihr vorzudringen. Dies war der einzige Moment in dem man erkennen konnte das der Rabe wohl diese Form nur aus eigenem Wunsch angenommen hatte, und eigentlich ein ganz anderes magisches Wesen war. Doch mir wars egal was er war, ich verabscheute ihn dafür was er meiner kleinen Tarlalaith antat.
Meine Augen pressen sich fest zusammen. Ich kann so nicht mehr weiter machen. Den ganzen Frühling halte ich schon Wache vor der Kuppel. MeinemKind so nah und dennoch unerreichbar. Der Sommer ist bereits über den Wald hereingebrochen, und überall tollen junge Tiere umher, nur Tarlalaith ist eingesperrt, ihre Ziegenbeine, die eigentlich kräftig und Muskulös sein sollten, sind verkümmert, sie sitzt Tag und Nacht auf ihrem Bett aus Seide und flicht farbige Bänder zu Teppichen zusammen, das einzige was der Rabe ihr zugesteht in ihrer Einsamkeit.
Tag für Tag sehe ich ihr zu und jeden Tag zerbricht es mein Herz, was habe ich bloss getan? Dies ist kein Leben, weder für sie noch für mich. Ich muss irgendwie einen Weg finden dieses Schloss auf zu bringen, dieses verdammte, vermaledeite Schloss. Es wird sich nicht dadurch öffnen, dass ich es Tag für Tag böse anstarre.
Doch was soll ich-jämmerliche Figur dagegn machen? Ich bin längst einfach nur noch ein Beweis für die Macht welche der Rabe über den Wald besitzt, und habe es aufgegeben mich an meinen falschen Stolz zu klammern.
Mein Kopf beginnt zu pochen. Ich hasse den kalten, harten Druck den die Glaskuppel ausübt, doch ich kann sie nicht zerbrechen, dies habe ich vor Monaten versucht.
Des goldene Schloss ist mein einziger weg zu meiner Tochter. Ich muss dem Leid ein Ende bereiten. Und plötzlich bilden sich Bilder in meinem Kopf, Bilder die ich noch nie in mir sah. Sie vermehren sich und passen ganz plötzlich zusammen, wie in einem grossen, hoffnungsschenkenden Puzzle. Ein Plan-es ist ein Plan. Er wird lange dauern und meine Geduld fordern. Doch ich werde auf mich nehmen was ich kann. Und ich werde ohne Frage den ganzen Sommer abwarten müssen, bevor meine Hörner im Herbst abfallen und sich erneuern würden, wie jedes Jahr.
Mein Herz zieht sich beim Gedanken an die Entbehrungen meiner Tochter in der langen Zeit zusammen, doch sie wird frei sein. Und nur das zählt. Wir werden zusammen und in Freiheit sein. Und der Wald wird ebenfalls frei sein von seiner beklemmenden Wolke, welche grau und doch unsichtbar über allen Bewohnern schwebt.
Der Sommer zieht langsam über meinen Kopf hinweg. Meine Gedanken sind düster und werden noch finsterer, je länger der Sommer dauert. Es ist heiss und ich habe Verbrennungen über den Schultern und Rücken, fast die ganze Zeit, doch ich will nicht zu den Bäumen in den Schatten. Ich werde meine Tochter nicht sehen lassen, dass ich von ihrer Seite weichen würde, komme was wolle. Ich versuche ihr jeden Tag mit meinen rehbraunen Blicken klar zu machen,dass ich sie bald befreien werde. Und so bewache ich das Schloss der Kuppel Tag und Nacht, Woche für Woche und die Monate ziehen ins Land. Wenn der graue Rabe kommt, sehe ich genau zu was er tut, denn meine Zeit wird kommen, und seine wird vorüber gehen, dies weiss mein geschundenes Herz mit absoluter Gewissheit.
Ein heller Blitz lässt mich erwachen aus meiner unbequemen Position. Ich richte mich verschlafen auf und strecke meine müden Glieder, als ein Donner über mich hinwegrollt. Erschrocken zucke ich zusammen, und schlage dabei mein Horn an die Glaskuppel, worauf es plötzlich vor mir auf der feuchten Erde liegt. Das erste Laub ist gefallen, und mit ihm erneuert sich endlich mein Geweih!
Den ganzen Sommer lang habe ich darauf hingefiebert und mich auf den Tag vorbereitet. Ich stehe auf und trete einige Schritte zurück, nur um dann mit voller Wucht mein anderes Horn gegen die Kuppel zu hauen, worauf auch dieses sich löst. Voller Zuversicht blicke ich auf die Hörner in meiner Hand. Da ich sie über den Sommer hinveg oft an dem riesigen Schloss gerieben habe, sind sie recht scharft zugeschliffen. Das eine ist spitz das andere ungewöhnlich abgeflacht für ein Horn. Ich nehme das flache und fange an seine Kante voller Inbrunst an dem Goldschloss rauf und runter zu ziehen, genau da wo der Schlüssel hinin soll. Die ganze Nacht arbeite ich unermüdlich daran, mein Horn scharf zu schleifen, so scharf wie es eben sein muss.
Das erste mal bin ich froh, dass man durch die Glaskuppel nichts hören kann, so wecke ich wenigstens meine Tarlalaith nicht auf.
Ein kalter Windzug bringt den Raben auf seinen übergrossen grauen Schwingen auf die Lichtung im Herzen des Waldes. Alles Leben verschwindet sofort im Dickicht, keiner traut sich auch nur in die Nähe, nur ich wache noch immer am Schloss. Und ich weiss dies ist der letzte Tag. der Rabe beachtet mich nicht, ist er es sich doch gewohnt, und genau das mache ich mir zu Nutzen. Ich nehme meinen gesammten Hass zusammen und als er seine Federn in den Schlüssel verwandelt, wage ich einen gewaltigen Sprung, und stosse ihm von Hinten mein spitzes Horn geradewegs durch den Rücken in sein Herz. Mit weit aufgerissenen Augen trifft mich der eisige Blick des Raben, doch davon lasse ich mich nicht aufhalten. Nun abgelenkt von meinem Vorstoss, vermag er sich nicht zu wehren, als ich ihm mit dem scharfkantigen Horn den Schlüssel Arm absäble und den Schlüssel endlich im Schloss umdrehe. Das goldene Schloss klickt und öffnet sich nach oben hinweg, sodass ich endlich eintreten kann. Endlich habe ich es geschafft! Ich habe den Wald , mich und meine Tochter befreit, wir werden endlich glücklich sein und sie wird das Leben haben welches ihr unschuldiges Wesen verdient! Doch kaum bin ich in der Kuppel, vernehme ich ein weiteres klicken und ein gurgelndes, kehliges Lachen. Ich drehe mich um, und der graue Rabe bricht zusammen, mit grausamen Grinsen auf dem Gesicht, werden seine Augen starr und milchig. Das goldene Schloss, ist verschlossen, und ich bin bei meiner Tochter. Die Erkenntnis trifft mich mich mit einem Schlag. Wir sind Gefangene, ohne Schlüssel, denn der hat sich abgetrennt wie er ist, wieder in Federn verwandelt.
Ich habe meine Tochter auf dem Gewissen, ja- meine Rasse gar- denn nun kommt nichts mehr zu uns durch.Wir werden verhungern und verdursten.. Etwas bricht in mir zusammen, mein Herz macht einen Sprung, als wolle es aus der Brust bersten und die ganze Welt erlischt in meinem letzten Gedanken.